Den Tod am Telefon besiegt
„Notruf für Feuerwehr und Rettungsdienst! Wo ist der Notfallort?“ meldet sich Benjamin wie immer am Telefon. Bereits seit fast zwei Jahren arbeitet er nun als Leitstellendisponent, zuvor war er mehrere Jahre lang im Rettungsdienst tätig gewesen. Mit schriller Stimme brüllt eine Dame am anderen Ende der Leitung: „Mein Mann ist zusammengebrochen und liegt jetzt bewusstlos am Boden!“
Schon oft hat Benjamin derartige Situationen nun schon erlebt, entsprechend routiniert fragt er zuerst die W-Fragen ab. Anschließend bittet er die Anruferin den Bewusstlosen zu schütteln und anzusprechen. Er zeigt keinerlei Reaktion.
Benjamin alarmiert sofort RTW und NEF unter dem Stichwort „Bewusstlose Person“. Normalerweise würde sein Job – wie sonst auch immer – mit den Worten „Ich habe den Notarzt alarmiert! Dieser trifft in wenigen Minuten bei ihnen ein!“ enden.
Doch heute scheint alles anders zu sein. Die Dame hatte ihm gesagt, dass ihr Mann erst 38 Jahre alt sei – nur 10 Jahre älter als Benjamin selbst.
„Atmet ihr Mann noch?“ fragt er die Frau. Als diese seine Frage schluchzend mit „Nein!“ beantwortet, fasst der junge Nachwuchs-Disponent einen Entschluss: „Sind sie bereit eine Wiederbelebung an ihrem Mann durchzuführen?“ fragt er sie.
Seine Kollegen – langjährige Mitarbeiter der Leitstelle – hatten ihm davon abgeraten: Man habe nicht die personelle Stärke um Telefonreanimationen durchzuführen, ein Laie könne das sowieso nicht und die Gefahr, dass etwas schief geht sei viel zu groß.
Ein Blick auf seinen Bildschirm hatte ihm jedoch verraten, dass die anrückenden Rettungskräfte noch mindestens zehn Minuten brauchen würden. Zu lange, denn mit jeder Minute in der das Gehirn nicht mit Sauerstoff versorgt wird schwinden die Chancen des jungen Mannes, jemals wieder auf die Beine zu kommen.
Da Benjamin selbst bis vor Kurzem noch im Rettungswagen gesessen hatte und weiß wie schrecklich es ist, einer jungen Mutter mitteilen zu müssen, dass ihr Mann gestorben ist, kann er nicht anders. Er sieht es als seine Pflicht an Leben zu retten – egal ob am Telefon oder vor Ort!
Da die Anruferin seine Frage mit einem ängstlichen, aber entschlossenen „Ja!“ beantwortet hatte, beginnt Benjamin ihr klare Anweisungen zu geben.
„Haben Sie keine Angst! Sie können dabei nichts falsch machen!“ beginnt er. „Ich möchte, dass sie sich seitlich neben ihren Mann knien und seinen Brustkorb freimachen. Dann legen sie ihre Hände auf das Brustbein – genau zwischen die Brustwarzen und beugen sie sich komplett darüber. Nun beginnen sie so schnell und so tief wie möglich zu drücken bis der Notarzt eintrifft!“ erklärt er ihr und beendet das Gespräch mit den Worten „…wenn sie alles verstanden haben, fangen sie jetzt damit an, ich trenne die Leitung!“
Für Benjamin bleibt nicht wirklich viel Zeit über sein Handeln nachzudenken, die Notrufleitungen klingeln im Minutentakt. Zumindest damit, dass für eine richtige Telefonreanimation keine Zeit bleibt, hatten die Kollegen recht.
Alle anderen „Ausreden“ lässt er jedoch nach wie vor nicht gelten.
Die 30 Sekunden, die Benjamin für die telefonischen Reanimationsanweisungen mehr gebraucht hatte, haben einem Menschen das Leben gerettet – Das weiß er nur noch nicht!
Reportage über moderne Leitstellenarbeit
Unsere Nachbarn aus Österreich sind uns in Sachen Leitstelle teilweise ein gutes Stück voraus! Wer einmal sehen möchte, wie die Leitstelle 144 Notruf Niederösterreich arbeitet, dem sei die folgende Reportage an’s Herz gelegt:
Vorbild Österreich – Die Optimierung der Leitstellenarbeit
Auch in Deutschland tut sich etwas
Die Zeit der „Alles klar, ein Wagen kommt“-Dialoge scheint endgültig vorbei zu sein. Die Leitstelle ist komplett in die „Chain of survival“ integriert.
RETTUNGSDIENST | 01 – 2011 | 34. Jahrgang | Reanimationsunterstützung am Telefon: ERC-Leitlinien 2010 und die Leitstelle
Wie ist es in eurem Rettungsdienstbereich mit der Telefonreanimation geregelt? Wird diese von der Leitstelle durchgeführt? Welche Erfahrungen habt ihr damit? Seid ihr vielleicht selbst Leitstellendisponent? Wir sind gespannt auf eure Eindrücke, Erfahrungen und Meinungen zum Thema!
News vom Rettungsdienst…
Den Tod am Telefon besiegt | <b>Rettungsdienst</b>-Blog.com…
Wir haben bei uns im VB lange Anfahrtswege, Telefonreanimation gehört seit etwa anderthalb Jahren zum Standart-Repertoire der Disponenten.
Meine persönlichen Erfahrungen sind gemischt mit der Tendenz zu gut – ohne das mit Daten untermauern zu können.
Hab schon von Angehörigen gesagt bekommen, das es gut war, das sie etwas tun konnten und sich nicht so hilflos vorkamen.
Die Disponenten bleiben übrigens am Telefon, bis sie ein RTW/NEF-Besatzungsmitglied am anderen Ende der Leitung meldet…
Hallo docvapor,
herzlich willkommen hier im Blog! Es freut mich, dass wir uns offensichtlich in einer Zeit des Wandels befinden und die Telefonreanimation scheinbar doch immer häufiger Teil der Leitstellenarbeit wird. Es freut mich auch zu hören, dass bei Euch bereits die „richtige Telefonreanimation“ durchgeführt wird – so, wie sie eigentlich gedacht ist. Der Disponent gibt Anweisungen und bleibt bis zum Eintreffen der Rettungskräfte am Telefon – häufig auch bei anderen lebensbedrohlichen Situationen, also nicht „nur“ beim Herz-Kreislauf-Stillstand!
Ein schönes Vorbild hierfür liefern uns unsere österreichischen Nachbarn mit ihrer Leitstelle „144 Notruf Niederösterreich“, wo dieses Verfahren schon seit langer Zeit zum Standard gehört. Wir haben auch hierüber schon einmal gebloggt – Ein Video, wie es dort abläuft, gibt’s hier: Vorbild Österreich – Die Optimierung der Leitstellenarbeit
Liebe Grüße
Fabi
Hallo.
Schön einen solchen Artikel in Deutschland zu lesen. Erschreckend wie die Kollegen Einfluss auf den jungen motovierten Kollegen nehmen.
Gut das er das getan hat was er offensichtlich wichtig und für richtig gehalten hat.
Dies ist ein kulturelles Problem – Leitstellendisponenten machen so etwas ungerne in Deutschland. Wie der normale Rettungsassistent „auf der Straße“ ungerne etwas tut was nich zu 100% gesetzlich geregelt ist.
Dieses therapiefreie Intervall kann nicht unbehandelt bestehen bleiben. Diese Lücke müssen wir schließen. Doch das dauert noch lange, bis Deutschland soweit ist.
http://www.prioritydispatch.net zeigt anschaulich wie so etwas funktioniert.
http://www.prioritydispatch.net/flash/medical/proqamedical.html Hier ein Video mit einer Software dazu welche zuerst bei der Abfrage unterstützt und dann nach übergabe an die Alarmierung bei der Hilfe ebenfalls unterstützt. Rechts im Menü gibt es weitere Fälle. Ebenso für Feuerwehr und Polizei.
LG Timo
Hey Timo,
willkommen hier und vielen Dank für die Links!
Nicht wundern, ich habe die erste URL in deinem Kommentar korrigiert – da hatte sich der Fehlerteufel eingeschlichen!
Ich fand auch, dass sich „Benjamin“ richtig entschieden hat, auch wenn er leider in „seiner Leitstelle“ wohl der einzige ist, der das System und die Notwendigkeit gewissenhafter Arbeit verstanden hat.
Einen Mutigen muss es immer geben, der den Anfang macht und aus diesem Grund hat es „Benjamin“ ja auch hier her geschafft! 😉
Hoffen wir, dass viele weitere folgen und wir es in den nächsten Jahren auch hier in Deutschland schaffen die Telefonreanimation flächendeckend einzuführen…
Liebe Grüße,
Fabi
Wenn man die von Daten aus der 2005 in Resuscitation veröffentlichten Studie von Kuisma M et al. auf Deutschland überträgt, würde das bedeuten, dass man durch die Durchführung einer Telefon-CPR pro Jahr ca. 3’500 Menschenleben in Deutschland retten könnte.
Man stelle sich vor, es würden jährlich 3’500 deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen sterben.
Ich gehe davon aus, dass dies aufgrund des öffentlichen Drucks sehr schnell abgestellt werden würde.
Jedoch ist der o.a. Umstand hinsichtlich der inkonsequenten Umsetzung der Struktur und Prozesse innerhalb der Rettungskette, sowie deren negative Auswirkung auf die Ergebnisqualität, in der Öffentlichkeit, aber auch bei vielen Leitstellenmitarbeitern und v.a. den Führungskräften in Leitstellen, (noch) nicht bekannt.
Noch einmal: 3’500 mehr Menschen könnten allein durch die Einführung der Telefon-CPR in Deutschland gerettet werden.
Hallo und herzlich willkommen hier im Blog!
Ja, die Fakten sprechen hier eindeutig für sich. Es gab nun schon einige Studien über die Effizienz der Telefonreanimation, sogar in den ERC-Guidelines ist sie mittlerweile fest verankert… Leider läuft es aber in Deutschland sehr, sehr schleppend an!
Es freut mich umso mehr, dass man doch immer mal wieder von Leitstellenbereichen hört, in denen – zumindest teilweise – versucht wird von der o.g. „Alles klar, ein Wagen kommt!“-Mentalität weg zu kommen!
Hoffen wir, dass der ein oder andere Disponent hier mit liest und sich – wenn gerade nicht 10 Notrufleitungen parallel klingeln – ein Herz fasst und einfach mal damit anfängt…
Liebe Grüße,
Fabi
Hallo,
als Niederösterreicher kann ich nur sagen, dass die Anleitung von Erste Hilfe-Maßnahmen am Telefon durch die Leitstelle sehr gut funktioniert. Das betrifft jetzt nicht nur angeleitete Reanimationen, sondern auch eine Vielzahl anderer Maßnahmen, wie z.B. Bolusgeschehen, Geburt, aber auch logistische Maßnahmen wie Einschalten der Beleuchtung in der Nacht, Wegsperren von Haustieren u.ä. dies wird bei einem Notruf vom Calltaker der den Notruf entgegennimmt angeleitet und erleichtert die Arbeit des RD-Personals dann doch z.T. erheblich.
Hallo Christoph,
Herzlich willkommen hier im Blog! Freut mich zu hören, dass die „Leitstelle 2.0“ bei euch schon so gut funktioniert und scheinbar auch angenommen wird! Hoffen wir, dass Deutschland bald nachzieht…
Liebe Grüße
Fabi
Ich bin ehrlich gesagt, mehr als überrascht zu lesen, dass Telefonreanimation nicht Standard bei der Leitstelle ist. Für mich zumindest ist es der nächstlogische Schritt, dass der Disponent denjenigen am anderen Ende adäquat anleiten kann, um die wertvolle Zeit bis zum Eintreffen des RTW zu überbrücken. Ich möchte mal behaupten, dass der Großteil der Bevölkerung dank Erste-Hilfe-Kurs beim Führerschein im Prinzip weiss was zu tun ist, in so einer Situation aber komplett überfordert ist und Unterstützung von ‚außerhalb‘ benötigt. Auch wenn vielleicht eine der berühmt-berüchtigten Rippen gebrochen oder die CPR nicht vernünftig durchgeführt wird, aber viel schlimmer, als in einer akut lebensbedrohlichen Situation den Anrufenden auf „Ein Wagen kommt“ zu vertrösten, geht’s glaub ich aus Patientensicht wirklich nicht mehr.
[…] In Deutschland geht die Sache mit der Telefonreanimation leider nur sehr schleppend voran, aber es tut sich was. Mehr dazu hier: Den Tod am Telefon besiegt […]
[…] bereits des Öfteren thematisiert. Auch den groben Ablauf, hatten wir uns im Einsatzbericht “Den Tod am Telefon besiegt” schon einmal […]