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Home Einsatzberichte Der Rettungsdienst und seine Grenzen

Schwerlast-Rettungswagen der Feuerwehr Frankfurt - Quelle: Feuerwehr Frankfurt a.M.
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Wir sind Profis in unserem Fachgebiet, keine Frage. In Sachen Notfallmedizin macht uns da draußen so schnell keiner was vor. Dank ausgeklügelter Technik und perfekten Algorithmen schaffen wir es, mit so ziemlich jeder Erkrankung oder Verletzung fertig zu werden. Auch bei der Rettung und dem Transport des vorversorgten Patienten in eine geeignete Klinik, können wir so ziemlich alles allein bewerkstelligen.

Aber es gibt eben doch auch Fälle, wo wir auf zusätzliche Hilfe „von aussen“ angewiesen sind. Beispielsweise unterstützt uns die Feuerwehr bei der Rettung von Personen, die in verunfallten Fahrzeugen eingeschlossen sind. Auch das Retten von verletzten oder erkrankten Personen aus großer Höhe übernimmt die Feuerwehr mit ihrer Drehleiter, oder der Höhenrettungsgruppe. Die Polizei hilft uns, wenn Patienten uneinsichtig oder aggressiv sind. Rettungsschwimmer sind zur Stelle wenn Personen im Wasser in eine Notlage geraten, die Bergwacht kann Patienten aus unwegsamem Gelände retten und Rettungshunde helfen, wenn Personen vermisst werden. Ja selbst im Todesfall oder bei psychischen Ausnahmesituationen können wir dank den Kriseninterventionsteams auf fachmännische Hilfe zurückgreifen.

Es gibt aber auch seltene Fälle in denen wir – trotz Unterstützung von Fachmännern – an unsere Grenzen stoßen. Genau von einem solchen Erlebnis möchte ich euch heute erzählen. Doch beginnen wir von vorne…

Ein herrlicher Mittwochnachmittag, 35 Grad im Schatten. Bernd und ich waren zu einem relativ alltäglichen Notarzteinsatz ausgerückt: Atemnot.

Beim Eintreffen am Einsatzort, wo wir von einem Nachbarn empfangen wurden, der einen Schlüssel zur Wohnung hatte und uns zum Patient führte, verschafften wir uns einen kurzen, allgemeinen Überblick. Was man eben als Retter so schaut, während man zum Patienten eilt. Wir befanden uns in einem etwas nach hinten versetzten Mehrfamilienhaus mit drei Stockwerken ohne Aufzug. Unser Patient wohnte im dritten Stockwerk in einer kleinen, verwinkelten Wohnung. Alles in allem schon einmal relativ suboptimale Gegebenheiten, wenn der Patient nicht gehfähig ist. Das Treppenhaus war nun auch nicht so unbedingt das breiteste, so dass wir beide inständig hofften, dass unser Patient nicht in allzu schlechter Verfassung ist.

Als wir die Wohnung betraten – und erst einmal beide die Nase rümpften – wurde uns dann ziemlich schnell bewusst, dass heute wohl absolut nicht unser Tag war. Es stank erbärmlich. Ich kann euch nicht einmal genau sagen nach was, irgend etwas süßlich-saures mit einem Hauch von Müll, Schweiß und Urin. „Na herzlichen Glückwunsch!“ schoss es mir durch den Kopf. Zu allem Übel war es in den Räumlichkeiten unseres „Kunden“ auch nicht wirklich kühler als draussen in der Sonne und so begann ich bereits nach wenigen Augenblicken zu schwitzen.

Wir konnten schon ein deutliches Rasselgeräusch hören, als wir noch im Eingangsbereich der Wohnung standen. Als wir dann um die Ecke gebogen waren und das Zimmer betreten hatten, war sofort klar, dass wir uns hier in einer verdammt misslichen Lage befinden: Mir schoss sofort irgendwie die Zahl 200 durch den Kopf und so falsch lag ich gar nicht, wie sich später noch herausstellen sollte.

Unser Patient lag in einem Pflegebett mit fast senkrecht aufgestelltem Kopfteil. Er hatte offensichtlich massive Probleme mit der Atmung, so dass wir uns über die Logistik primär noch nicht wirklich viele Gedanken machen konnten.

Erst als wir den Patienten entsprechend versorgt hatten und – vier Minuten später – unser Notarzt die Behandlung übernahm, konnten wir uns dem Hauptproblem widmen: Wie bringen wir einen Patienten, der laut eigenen Angaben über 220 Kilo wiegt, aus dem dritten Stock durch ein enges Treppenhaus sicher in den RTW? Wohlbemerkt mit Oberkörperhochlagerung!

Generell brauchen mein Kollege und ich bei derartigen Einsätzen gar nicht arg viel mit einander zu sprechen. Es genügt kurzer Blickkontakt und beide wissen was zu tun ist: Feuerwehr – Tragehilfe – Drehleiter!

Während Bernd also mit dem Notarzt beim Patienten blieb, stiefelten der NEF-Fahrer und ich die Fenster der Wohnung nach einander ab. Leider mit ernüchtendem Ergebnis: Keine Chance da irgendwo anzuleitern!

In diesem Fall war uns auch der Notarzt keine große Hilfe, als wir unser Ergebnis kundtaten: „Wie wir nach unten kommen ist mir eigentlich egal, hauptsache es geht schnell!“ war seine äusserst hilfreiche Ansage! Irgendwie aber verständlich, denn die Versorgung eines Patienten in dieser Gewichtsklasse ist nicht zu unterschätzen. Mein Kollege und ich hatten da anfänglich auch schon mit kleineren Problemchen zu kämpfen gehabt. (Schon mal probiert bei einem solchen Patienten ne vernünftige Vene zu finden – und zu treffen?)

 



Es half alles nichts. Ich rief bei der Leitstelle Leidstelle an, um mein Leid zu klagen und die Feuerwehr zum Ort des Geschehens zu bestellen. Zusätzlich bestellte ich ein Spezialfahrzeug des Rettungsdienstes zur Beförderung von massiv übergewichtigen Personen. Meinem Wunsch wurde nach kurzer Schilderung der Lage umgehend entsprochen und so blickte ich wenige Minuten später in ein – zugegeben etwas verzweifeltes – Zugführer-Gesicht. Der Schwerlast-RTW rollte aus größerer Entfernung an und ließ demnach noch einige Zeit auf sich warten…

Wir beratschlagten uns kurz, gingen die Möglichkeiten noch einmal durch. Das einzige, was dem Kollegen zum Thema „sichere und schonende Rettung“ noch einfiel, war die Rettung mittels Kran des THW. Diese Möglichkeit schied aber gleich wieder aus, denn das war mit einem enormen Aufwand verbunden und absolut nicht „zügig“ zu bewerkstelligen! „Ausserdem sollten wir schon alleine aus dem Grund schleunigst hier weg, weil ich die Hitze und diesen Gestank einfach nicht mehr lange mitmache!“ dachte ich mir, während ich weiter grübelte.

Ratlos besprachen wir alle noch einmal, was wir denn nun tun sollen. Es galt den Patienten nach unten zu bringen und dabei auf vier Dinge zu achten: schnell, sicher, schonend und mit erhöhtem Oberkörper! Nachdem keiner eine bessere Idee hatte, ging der Zugführer schließlich nach unten und begann mit seinen Männern zu basteln…

Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir versuchen aus der Schleifkorbtrage eine Vorrichtung zu bauen, die zumindest drei der vier Punkte erfüllt. „Schonend“ war war in diesem Fall leider nicht möglich! Die Trage hat eben nur eine bestimmte Breite und wer da nicht reinpasst, der hat’s etwas unbequem… War aber in diesem Fall zweitrangig, denn lieber ein unbequemer Transport in’s Fahrzeug, als tot!

Was soll ich sagen? Eine dreiviertel Stunde später hatten wir es geschafft! Der ausgeprägten Flexibilität und dem Einfallsreichtum der Feuerwehr war es zu verdanken, dass der Patient sich nun – lebend – im Hausflur des EG befand. Möglich gemacht wurde dies durch eine Konstruktion aus Schleifkorbtrage, einer Metallrampe, Spanngurten, einer Plane, zwei Stricken und irgendwelchem Kleinkram, den die Jungs aus den Tiefen ihres Fahrzeuges gekramt hatten. Zusätzlich kamen von uns noch mehrere Decken dazu. Damit wurde die Trage so modifiziert, dass der Patient einigermaßen aufrecht sitzen konnte. Die Metallrampe wurde – zusammen mit einigen Holzkeilen, ein paar gerollten Einmaldecken und Spanngurten – zur Rückenlehne. Die Plane, sorgte – einmal um den Patienten gewickelt – mit weiteren Spanngurten für entsprechenden Seitenhalt und dafür, dass wir den Patienten auch wieder aus der Schleifkorbtrage herausbekamen. Die beiden Stricke wurden am Kopfteil befestigt und zwei Feuerwehr’lern um den Leib geschnürt, um das Konstrukt samt Patient vor dem unkontrollierten Abrutschen zu sichern.

Hört sich jetzt alles irgendwie recht wackelig, unsicher und fahrlässig an, war aber eigentlich optimal gelöst und hat eine nahezu problemlos verlaufende Rettung des Patienten ermöglicht, ohne größeren Schaden anzurichten. Aussergewöhnliche Situationen erfordern eben aussergewöhnliche Maßnahmen!

Ich hätte ja gerne ein Foto der „Schwerlasttrage“ gemacht, aber es ging in dem Moment eher um den Patienten, dessen Zustand nicht so wirklich der beste war!

Kurz wurde es noch einmal spannend, als wir den Patienten dann aus der Schleifkorbtrage auf die Trage des Schwerlastfahrzeuges heben mussten. Dies war nämlich – wie in der Wohnung beim „Einladen“ auch schon – nur mit einer kurzzeitigen Flachlagerung, viel Muskelkraft und möglichst guter Koordinierung der Handgriffe und Maßnahmen möglich gewesen… Aber es hat im Grunde genommen relativ gut geklappt, auch wenn unser Notarzt zwischenzeitlich immer mal wieder mehrere Tode gleichzeitig gestorben war 😉

Nach der Übergabe an’s Schwerlast-Team und der Verabschiedung vom Notarzt kehrte wieder etwas Ruhe ein und wir ließen diesen absolut aussergewöhnlichen Einsatz noch einmal revue passieren… Wahnsinn!

Eine Sache steht auf jeden Fall jetzt schon fest: Deutlich kritischer wird’s, wenn der Patient wieder aus der Klinik entlassen werden und in seine Wohnung zurück soll! Hoffen wir, dass ich dann nicht im Dienst bin…


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Autor
Gründer, Administrator, Hausmeister und ‚Motor‘ des Blogs. Beiträge von ihm sind in allen Kategorien zu finden. Beruflich ist er als Notfallsanitäter, sowie als Dozent und Einsatzleiter bei einer großen Hilfsorganisation in Süddeutschland tätig. Dank diverser Zusatzqualifikationen und stetigen Fort- und Weiterbildungen, sowie unzähligen Kontakten im In- und Ausland, ist er immer up-to-date und wird von Bekannten und Kollegen häufig als Ansprechpartner für alle möglichen Themen rund um den Rettungsdienst konsultiert. Er ist auf diversen Internetplattformen, sowie Messen und anderen Veranstaltungen zu den Themen Rettungsdienst und Notfallmedizin präsent und dauernd auf der Suche nach neuen und interessanten Themen für den Blog.