Ein gottseidank nicht alltäglicher Notfalleinsatz
Es ist 19:50 Uhr als der Rettungswagen zu einer gestürzten Person gerufen wird. Empfangen werden die beiden Retter von einer 83-jährigen Dame, die im Rollstuhl sitzt. Sie berichtet, es gehe um ihren leukämiekranken und im Sterben liegenden Mann. Als die Rettungsassistenten das Zimmer des Mannes betreten, finden sie ihn auf dem Boden liegend vor. Er sei aus dem Bett gefallen.
„Was fehlt denn dem jungen Mann?“ fragt einer der beiden. Völlig empört antwortet die Ehefrau: „Legen Sie meinen Mann wieder in’s Bett und dann verschwinden Sie!“
Die beiden untersuchen den gestürzten Patienten, der in einem blutverschmierten Bettlaken liegt und stellen Hämatome am ganzen Körper und schorfige Wunden im Gesicht fest, die in der Klinik versorgt werden müssen. Als sie dies der betagten Dame mitteilen, erwidert diese, dass die Wunden aufgrund des Krebsleidens nicht mehr heilen und der Patient am nächsten Tag in einer Klinik versorgt würde. Darauf versuchen die Retter der Frau zu erklären, warum sie der Meinung sind, dass der Patient jetzt gleich versorgt werden sollte und sie ihn deshalb mit in’s nächste Krankenhaus nehmen wollen.
Nach mehreren verbalen Entgleisungen und einer vorgetäuschten Herzattacke der Angehörigen wird es den beiden Rettern dann zu bunt: Sie rufen Notarzt und Polizei dazu. Daraufhin wird die betagte Dame grob, stößt einen der beiden Helfer gegen einen Türstock, verdreht ihm zwei Finger und schlägt ihm dann mit einem Telefonhörer mehrfach in’s Gesicht. Nicht etwa sanft, denn die Folge der Attacke sind ein herausgebrochener Schneidezahn, ein zertrümmertes Jochbein und ein Hämatom am Oberkiefer.
Klingt irgendwie unrealistisch? Ist aber genau so im Mai 2011 in München passiert!
Erst die hinzugerufene Polizei kann die Situation beruhigen! Der verletzte Rettungsassistent erstattet Anzeige gegen die Rentnerin. Er muss im weiteren Verlauf insgesamt fünf mal operiert werden, eine weitere OP wird noch folgen!
Einige Zeit später – der krebskranke Patient war zwischenzeitlich an seiner Erkrankung verstorben – erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Rentnerin: Gefährliche Körperverletzung!
Da die Patientin jedoch bereits seit zwei Jahren ihren Mann gepflegt hatte und offensichtlich in Panik war, ihn nie wieder sehen zu dürfen, ergeht ein relativ mildes Urteil: 9000 € (180 Tagessätze) Strafe auf Bewährung und 3000 Euro Schmerzensgeld. Im Klartext bedeutet das, dass sie das Schmerzensgeld bezahlen muss, die Strafe jedoch nur, wenn sie innerhalb eines Jahres noch einmal straffällig wird. Bleibt sie während dieser Zeit straffrei, muss sie die Geldstrafe nicht bezahlen.
Die verwunderliche Aussage der Rentnerin darauf: „Ich zahle nicht, ich gehe lieber in’s Gefängnis!“
Mehr Informationen zu diesem Vorfall:
Süddeutsche Zeitung: 84-jährige verprügelt Sanitäter – Retter wird zum Opfer
Abendzeitung München: Rentnerin (83) schlägt Sanitäter Zahn aus
BILD: Telefon in’s Gesicht gedonnert – Rentnerin (83) schlägt Sanitäter in die Klinik!
Was mir hier zu kurz kommt ist die Information ob es denn akut behandlungsbeduerftige Wunden gab. Und dann, warum muss hier eine solch unnoetige Diskussion mit der Frau gefuehrt werden. Ich war selbst 12 Jahre ehrenamtlich und auch hauptamtlich als RS unterwegs in den 80ern, ich habe nie solche Entgleisungen erlebt. Aufgrund des Patientenzustandes mit dem Krebs haette man hier vielleicht mehr Fingerspitzengefuehl zeigen koennen. Und Sterbende zwangsweise behandeln zu wollen passt nicht ins Jahr 2012. Hier haben zwei Typen den falschen Job.
Hallo Bernd,
willkommen hier im Blog!
Vielen Dank, ich habe ehrlich gesagt schon, seit ich den Post online gestellt habe, auf so einen Kommentar gewartet! 😉
Ich war zwar bei der Situation nicht dabei und kann nur auf das reagieren, was in der Presse auftaucht, aber anhand dessen finde ich auch, dass die beiden falsch reagiert haben und kein Stück Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl gezeigt haben! Man hätte so etwas definitiv diplomatischer lösen können…
Das rechtfertigt natürlich einen solchen Ausraster der Angehörigen nicht, aber ich verstehe auch voll und ganz, dass sie in dem Moment Angst bekommt ihren Mann – den sie seit Jahren pflegt – womöglich nie mehr wieder zu sehen!
Wenn das alles im Detail so stimmt, sollten die beiden ihr Handeln tatsächlich mal überdenken…
Liebe Grüße,
Fabi
Hallo Fabi,
vielen Dank 🙂
Nach dem zweiten Mal lesen ist mir noch etwas eingefallen. Vielleicht waren die beiden auch mit der Situation ueberfordert. Ich habe selbst ein Beispiel erlebt als mein Fahrer einem Patienten mit Krebs im Endstadium – den wir zum sterben nach Hause fuhren – zum Abschied „Gute Besserung“ wuenschte. Mein Kollege hatte die Situation einfach falsch eingeschaetzt.
Vielleicht hatten diese beiden auch das Problem, dass sie die Situation nicht verstanden haben. Ich habe meine Ausbildung 1981/1982 gemacht, und zwar ausschliesslich auf Intensiv und NAW und Notaufnahme. Keiner hat uns auf den Umgang mit Sterbenden vorbereitet, auch nicht auf den Umgang mit deren Angehoerigen. Ich will die Beiden nicht in Schutz nehmen, aber es gibt vielleicht genau diesen einfachen Grund fuer die Fehleinschaetzung und das anschliessende Fehlverhalten, was fuer meine Begriffe erst die Aggression der Dame hervorruft.
Ich finde es gut, dass Du das hochgeladen hast. Vielleicht regt es ja eine Diskussion an, die vielleicht die Denkweise in solchen Situationen aendert. Vielleicht sollte man auch endlich mal Elemente der Pflegeausbildung im Hinblick auf den Umgang mit Totkranken in die geplante Notfallsani-Ausbildung uebernehmen. Das waere sicherlich ein Gewinn fuer die Sanis und auch fuer die betroffenen Patienten.
Viele Gruesse aus meiner Wahlheimat Irland,
Bernd
Ich finde von den Vorgängern es nicht richtig das sie so über Kollegen reden.
In dem Moment hat das rd personal es so entschieden und somit war es das richtige für die beiden !
Ihr wart wie ich nicht dabei und könnt die Situation nicht einschätzen und darüber reden und diskutieren.
Hallo Michael,
wie ich bereits oben geschrieben habe, waren wir tatsächlich bei der Situation nicht dabei und können nur spekulieren bzw. auf das Geschriebene reagieren. Nimmt man den Bericht für voll, so ist es tatsächlich so, dass die beiden sich offensichtlich falsch verhalten haben!
Ich gehe einmal schwer davon aus, dass die Rentnerin den Rettungswagen nicht gerufen hat, damit jemand kommt, dem sie den Telefonhörer in’s Gesicht donnern kann. Vielmehr hatte sie kompetente Hilfe (In’s Bett legen) erwartet.
Es ist ja legitim, dass die beiden den Patienten dann untersuchen und auch vollkommen okay, dass sie anraten, ihn in ein Krankenhaus zu bringen, wenn sie Verletzungen feststellen, die einer ärztlichen Behandlung bedürfen.
Lediglich die Tatsache, dass sie dies der Frau des Patienten wohl auf eine Art und Weise beizubringen versuchten, die derartige Aggressionen bei ihr auslöst, rechne ich den beiden negativ an. Man muss bedenken, dass die Frau – die seit über zwei Jahren ihren totkranken Mann pflegt – in dem Moment sicherlich Angst bekam, als sie hörte, dass man ihr ihren Ehemann „wegnehmen“ möchte! Sie hatte wohl die Absicht gehabt, ihrem Mann das Sterben in gewohnter Umgebung und in ihrer Anwesenheit zu ermöglichen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es dann auch sicherlich verständlich, dass sie versucht alle Hebel in Bewegung zu setzen. Immerhin kommen da zwei Aussenstehende, die von dem Leidensweg des Patienten nichts mitbekommen haben und sich über die – warscheinlich gemeinsam getroffene – Entscheidung des Ehepaares hinwegsetzen möchten. Schließlich wird sogar noch die Polizei hinzugezogen… Offensichtlich wusste sie sich dann nicht mehr anders zu helfen!
Es steht vollkommen ausser Frage, dass sie falsch reagiert hat und die Strafe berechtigt ist, aber eigentlich sollten die beiden Rettungsassistenten in so einem Fall von Beginn an deutlich mehr Verständnis für die Wünsche von Patient und Angehörigen zeigen und mit mehr Fingerspitzengefühl an die Situation herangehen…
Versuche dich selbst einmal in ihre Lage zu versetzen: Sie war vielleicht seit vielen Jahrzehnten mit ihrem Mann verheiratet, die beiden haben alles zusammen durchgestanden und nun hat sie ihn mehrere Jahre – trotz ihrer eigenen Gehbehinderung – selbst versorgt und gepflegt. Dann liegt er im Sterben und sie versucht alles um ihm dieses Sterben so angenehm und stressfrei wie möglich zu gestalten (vermutlich war er aufgrund der Erkrankung ohnehin schon unzählige Male stationär in einer Klinik). Vielleicht erkennt sie selbst – als Laie – nicht, dass die Verletzungen tatsächlich behandelt werden müssen…
Und dann kommen zwei Fremde und möchten ihren Mann – zur Not auch gegen ihren Willen unter polizeilichem Zwang – in ein Krankenhaus einweisen!
Man sollte nie vergessen, dass wir mit echten Menschen zu tun haben, die echte Gefühle, Wünsche und echte Bedürfnisse haben! Wir sind Profis, die genau solche Situationen eigentlich so meistern sollten, dass alle Beteiligten verstehen, warum wir welche Entscheidung treffen und dass wir eigentlich nur Helfen möchten, nur das Beste für unsere Patienten wollen!
Einzig diese Tatsache ist es, die ich den beiden – wohlbemerkt aufgrund der Schilderungen der Presse – ankreide.
Liebe Grüße
Fabi