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Home Einsatzberichte Guter Sani – Böser Sani

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Freitagnacht. Der natürliche Feind aller Rettungsdienst’ler/innen ist die gute, alte HiloPe (Hilflose Person), gerne auch „Saufnase“ oder „Schluckspecht“ genannt. Es ist jedes Mal das gleiche Spiel: Es wird so lange exzessiv gesoffen, bis einer umfällt. Entgegen aller Regeln der Freundschaft, wird betreffende Person dann einfach zurück gelassen und am Ende findet sich immer irgendjemand, der den Rettungsdienst alarmiert.

Vor Ort findet man meist vollgekotzte, manchmal blutverschmierte Personen vor, die – wenn man grade mal wieder den Jackpot gezogen hat – auch noch aggressiv und unkooperativ sind und selbstverständlich keinen Ausweis dabei haben.
Wir sollten also auch heute Nacht nicht verschont bleiben und so schlagen, pünktlich um halb Vier, unsere Piepser Alarm. Es geht zu einer der vielen Discos Absteigen der Stadt, Einsatzstichwort „HiloPe mit KoPlaWu“. Das KoPlaWu steht hierbei für Kopfplatzwunde.
Am Einsatzort angekommen geht – wie so häufig – erst einmal die Suche los. Nach wenigen Minuten ist dann auch jemand ausgemacht, der weiss, wo es hingeht und so führt er uns auf einen benachbarten, unbeleuchteten Parkplatz, wo bereits eine kleine Ansammlung betrunkener Menschen Erste-Hilfe in Form von wildem „Durcheinandergebrabbel“ leistet.
Der hat ne voll krasse Monsterwunde im Gesicht, ey!“ erfahren wir bereits, als wir noch knappe zehn Meter entfernt sind. Bei dem stark übergewichtigen, jungen Patienten angekommen, stellt sich die „Voll krasse Monsterwunde“ als kleiner, nicht nähenswerter Cut über dem Auge dar. Für uns viel interessanter ist, dass der Knabe offensichtlich mit seinen Sprüchen an den Falschen geraten war: Sein Gesicht ist geschwollen, ein „Veilchen“ ziert sein rechtes Auge, aus Mund und Nase kommt Blut. Er liegt seitlich auf dem leicht feuchten Asphalt und sabbelt uns zur Begrüßung erst einmal ein freundliches „Isch fick eure Mütter, eh!“ entgegen.
Sehr erfreut über den Willkommensgruß gehe ich erst einmal kurz um den Herrn herum, schaue ob er noch weitere Verletzungen aufweist. Abgesehen davon, dass sein nackter Oberkörper mit einem Gemisch aus Erbrochenem und Blut verschmiert ist, kann ich nichts feststellen und so frage ich einfach mal in die Runde: „Weiss irgend einer von Euch was passiert ist?
Der hat ne Wunde im Gesicht!“ erfahre ich vom erstbesten Promille-Junkie. „Was du nicht sagst!“ antworte ich ihm, während bereits der nächste Spezialist auf mich einredet: „Der hat so voll viel getrunken und jetzt liegt der halt hier!“.
Okay, Jungs… Dass der Kollege hier zu viel getrunken hat, nun hier liegt und im Gesicht blutet sehe ich selbst, mich interessiert aber vielmehr WIESO er hier liegt! Ist er hingefallen, oder hat er ein paar auf die Nuss bekommen? Kennt ihn denn überhaupt irgendjemand hier?“ verdeutliche ich mein Nachfragen und schaue in die Runde.
Wenige Sekunden später stelle ich die Anamneseerhebung erfolglos ein, während mein Kollege Klaus den jungen Mann durch zärtliches „Auf die Schulter klopfen“ zum erneuten Aufwachen ermutigt.
Der Bursche dreht sich ein Stück, hebt den Kopf, linst Klaus ungläubig an und beginnt das Gespräch mit „Lass mich bloss in Ruhe, ey… Sonst gibt’s gleich…“ und lässt seinen Kopf wieder gen Boden sinken.
Nun, zu Klaus sei gesagt, dass er bereits seit über 20 Jahren im Rettungsdienst arbeitet und schon so manches gesehen und erlebt hat. Klaus ist etwas über 1,90m groß, stemmig gebaut und trägt einen Dreitagebart. Eigentlich ein wirklich lieber Kerl, von dem man alles haben kann. Aber wenn er nachts um halb Vier aufstehen muss, nur um von einem halbwüchsigen Betrunkenen schwach angelabert zu werden, dann kann er verdammt ungemütlich werden….
Was gibt’s dann?“ kommt Klaus mit dem jungen Mann in’s Gespräch.
Halt dein Maul du!“ ist die – ungünstig gewählte – Reaktion des jungen Mannes und nun kann man gut sehen, wie Klaus‘ Halsvenen beginnen, dicker zu werden. Er hält sich aber zurück und schaut mich an, was mein Zeichen dafür ist, dass wir es mit der Methode „Guter Sani, böser Sani“ probieren.
Ich beuge mich also ein Stück herunter und erkläre dem Betrunkenen –so kumpelhaft wie möglich – die momentane Situation, dass wir gerufen wurden, weil er hier verletzt und sturzbetrunken herumliegt und wir ihm nur helfen wollen. Leider fruchtet der „gute Sani“ nicht und der Patient versucht mich mit einem etwas unkoordinierten Schwinger zu treffen, dem ich allerdings problemlos ausweichen kann. „Nun gut“ denke ich mir „du hattest deine Chance!“.
Jetzt schreitet Klaus zur Tat, packt den jungen Mann und hilft ihm in relativ unsanfter Weise beim Aufstehen. „Freund, pass gut auf, was ich dir jetzt sage! Wenn du noch einmal nach mir oder meinem Kollegen schlägst, ist hier Feierabend, klar?! Wir wollen dir helfen und nur, weil du dir den Arsch vollgesoffen hast und dich jetzt besonders stark fühlst, heisst das noch lange nicht, dass du uns angreifen musst! Und jetzt wird aufrecht zu unserem Auto marschiert!!“ brüllt er den deutlich perplexen Patienten an.
Klaus meistert seine Rolle als „böser Sani“ äusserst professionell und hat bisher noch so ziemlich jede Schnapsnase dazu gebracht, zum Auto zu laufen. „Wo kämen wir denn da hin, wenn wir jeden Säufer  tragen würden?“ sagt er gerne…
Mittlerweile biegen zwei grinsende Polizeibeamte um’s Eck, die mich und Klaus freundlich begrüßen, dann aber durch das Geschrei des Patienten davon abgehalten werden, sich den Hergang erzählen zu lassen. Ein paar Beschimpfungen und Kraftausdrücke später, marschiert Klaus, den jungen Mann fest im Griff, an uns vorbei und sagt zu einem der beiden Beamten: „Kommt dann halt nach, wenn ihr fertig seid, ich kümmere mich so lange um den Kandidaten hier!
Nun habe ich den besten Job von Allen, denn meine Aufgabe besteht nun nur noch darin, den Weg für Klaus und seinen neuen Freund freizuhalten und die Liege im Fahrzeug vorzubereiten. Fachmännisch verfrachtet Klaus den Patienten das Mitbringsel auf die Liege und gibt sich bei der „Ladungssicherung“ alle Mühe.
Klaus hat so ein Händchen dafür, den Menschen unmissverständlich klarzumachen, dass das, was er sagt, nun Gesetz ist und genau aus diesem Grund beschloss ich – obwohl ich heute eigentlich nicht der Fahrer war – dass Klaus die „pflegerischen Maßnahmen“ während der Fahrt bei diesem Patienten übernehmen darf.
Nachdem die Polizei im Anschluss noch kurz im Auto vorbeigeschaut hatte, konnte die Fahrt ins aufnehmende Krankenhaus zur Wundversorgung und Ausnüchterung beginnen.
Während der – etwa 20 minütigen Fahrt – wurde es, entgegen meiner Erwartungen, nur noch zwei Mal kurz laut im Patientenraum. In der Klinik angekommen, konnten wir einen handzahmen Patienten abliefern, der die Notaufnahme auf den eigenen Beinen betrat, sich friedlich und kooperativ in ein Bett begab und die Behandlung über sich ergehen lies…
Ihr seht, es ist nie schlecht, einen „bösen Sani“ dabei zu haben! 😉


Guter Sani - Böser Sani, 4.8 out of 5 based on 5 ratings

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Autor
Gründer, Administrator, Hausmeister und ‚Motor‘ des Blogs. Beiträge von ihm sind in allen Kategorien zu finden. Beruflich ist er als Notfallsanitäter, sowie als Dozent und Einsatzleiter bei einer großen Hilfsorganisation in Süddeutschland tätig. Dank diverser Zusatzqualifikationen und stetigen Fort- und Weiterbildungen, sowie unzähligen Kontakten im In- und Ausland, ist er immer up-to-date und wird von Bekannten und Kollegen häufig als Ansprechpartner für alle möglichen Themen rund um den Rettungsdienst konsultiert. Er ist auf diversen Internetplattformen, sowie Messen und anderen Veranstaltungen zu den Themen Rettungsdienst und Notfallmedizin präsent und dauernd auf der Suche nach neuen und interessanten Themen für den Blog.