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Home Diskussionen Medikamentengabe führt zur fristlosen Kündigung

Rettungswagen (RTW) des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) im Einsatz - Quelle: YouTube
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In zwei von einander unabhängigen Fällen im Juli diesen Jahres hatten zwei Rettungsassistenten zur Behandlung eines Status Epilepticus (schwerer Krampfanfall, potientell lebensbedrohlich!) das Medikament Dormicum® bzw. Midazolam® vorbereitet, bzw. appliziert um den Krampf zu durchbrechen und damit schwere gesundheitliche Schäden zu verhindern. Beide Male war der Rettungswagen bereits einige Minuten vor dem Notarzt an der Einsatzstelle eingetroffen.

In einem der Fälle wurde das Medikament über einen Nasenapplikator verabreicht und dadurch der Krampfanfall erfolgreich durchbrochen. Der Rettungsassistent hatte sich für die Applikation entschieden, weil fest stand, dass der alarmierte Notarzt noch mindestens zehn Minuten brauchen würde, um zur Einsatzstelle zu kommen.

Im zweiten Fall hatte ein anderer Rettungsassistent das Medikament nur für die Applikation vorbereitet, damit nach dem Eintreffen des Notarztes direkt mit der Gabe begonnen werden konnte.

Leben gerettet – fristlos gekündigt

Die beiden langjährigen und erfahrenen Mitarbeiter wurden daraufhin von ihrem Arbeitgeber, dem BRK Kreisverband Bad Neustadt a. d. Aisch – Bad Windsheim, fristlos gekündigt. Beide standen von heute auf morgen ohne Job da, obwohl sie dem Patienten durch ihr Handeln nicht geschadet hatten.

Grund dafür sind nicht etwa Beschwerden der Patienten oder Komplikationen beim Einsatz, sondern die Beschwerde eines Notarztes, der wohl die Meinung vertritt, dass Medikamente nur durch einen Arzt appliziert werden dürfen.

Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) sieht das offensichtlich ähnlich und argumentiert, es gäbe im Kreisverband die klare Regel, dass dieses Medikament durch Rettungsassistenten nicht verabreicht werden dürfe.

 

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Gefeuert, weil sie Leben retten wollten – Irrsinnige Gesetze für Rettungskräfte (SAT1/Planetopia)

 

Gewerkschaft und Mediziner äußern Unverständnis

Die Gewerkschaft ver.di und zahlreiche Mediziner hatten bei einer Pressekonferenz am 25.11.2013 in Nürnberg ihr Unverständnis angesichts der Kündigungen geäußert. Ärztliches und nichtärztliches Rettungsfachpersonal aus dem ganzen Land zeigt sich schockiert und überrascht von der Vorgehensweise und übt massive Kritik.

Das BRK stärkt seinem Kreisverband hingegen den Rücken. Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk äußerte sich zu den Vorfällen auf seiner Facebook-Seite. Dort heißt es:

„Im Sinne der Patientensicherheit kann ein solches Verhalten nicht akzeptiert werden. Die Kündigung ist unserer Sicht richtig gewesen – Mitarbeiter, die sich nicht an die medizinischen Richtlinien und Vorgaben halten, sind ein Risiko für Patienten und für das BRK.“

(Stellungnahme der BRK-Landesgeschäftsführung via Facebook)

Einer der beiden gekündigten Rettungsassistenten hat nun Klage auf Wiedereinstellung beim Arbeitsgericht Nürnberg eingereicht. Der Fall wird dort am 14. Januar 2014 verhandelt.

Der zweite Kläger einigte sich zwischenzeitlich mit seinem Arbeitgeber und erhielt eine Abfindung. Er habe richtig gehandelt und wollte Leben retten. Nach diesem Verhalten möchte er mit dem BRK nichts mehr zu tun haben und daher auch nicht mehr dort beschäftigt sein.

 


Sanitäter in der Klemme: Wenn helfen strafbar ist (BR3/quer)
 

Wie ist die Rechtslage?

Zwei Worte kennt in Deutschland so ziemlich jeder Rettungsdienstmitarbeiter nur zu Genüge: „Rechtliche Grauzone“. Keiner weiß so wirklich genau, wie weit er gehen darf, wenn des Notarzt noch in weiter Ferne ist. Die regionalen Unterschiede sind enorm.

Schauen wir uns im aktuellen Bezug also einmal die vorhandenen rechtlichen Rahmenbedingungen und Empfehlungen an:

– Rettungsassistentengesetz

Der Aufgabenbereich von Rettungsassistenten bis zum Eintreffen des Notarztes ist im Rettungsassistentengesetz (RettAssG) nicht klar definiert:

„Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs als Helfer des Arztes insbesondere dazu befähigen, am Notfallort bis zur Übernahme der Behandlung durch den Arzt lebensrettende Maßnahmen bei Notfallpatienten durchzuführen, die Transportfähigkeit solcher Patienten herzustellen, die lebenswichtigen Körperfunktionen während des Transports zum Krankenhaus zu beobachten und aufrechtzuerhalten sowie kranke, verletzte und sonstige hilfsbedürftige Personen, auch soweit sie nicht Notfallpatienten sind, unter sachgerechter Betreuung zu befördern (Ausbildungsziel).“

(RettAssG §3)

Um dieser Beschreibung gerecht werden zu können, wird Rettungsassistenten eine sogenannte Notkompetenz zugestanden. Der Rettungsassistent bekommt also mehr Kompetenzen eingeräumt, wenn es um lebensrettende Maßnahmen und die Abwendung schwerer gesundheitlicher Störungen geht. Nur welche Maßnahmen genau in den Rahmen der Notkompetenz, die sich aus dem rechtfertigenden Notstand ableitet, fallen, ist nicht näher betitelt.

– Heilpraktikergesetz

Heilkundliche Maßnahmen (wie z.B. die Medikamentenapplikation) sind laut Heilpraktikergesetz (HPG) nur Ärzten und Heilpraktikern vorenthalten. Im Gesetz gibt es diesbezüglich zu lesen:

„Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis. Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.“

(Heilpraktikergesetz §1, Abs. 1 + 2)

Schaut man dort jedoch einmal auf das Datum, so wird man feststellen, dass dieses Gesetz aus dem Jahr 1939 (!!!) stammt.

– Strafgesetzbuch

Im Strafgesetzbuch (StGB) findet man den sogenannten „Rechtfertigenden Notstand“:

„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

(StGB, § 34)

Im Fall der beiden Rettungsassistenten lag ganz klar eine „Gefahr für Leib und Leben“ vor.

– Empfehlung der Bundesärztekammer

Der Ausschuss ‚Notfall-, Katastrophenmedizin und Sanitätswesen‘ der Bundesärztekammer (BÄK) hatte sich aus diesem Grund 2003 für eine Liste und Erläuterungen zu ausgewählten Notfallmedikamenten ausgesprochen, deren Applikation von Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten im Rahmen der Notkompetenz durchgeführt werden kann. In der Empfehlung heißt es:

„Ist der Rettungsassistent am Notfallort auf sich alleine gestellt und ist rechtzeitige ärztliche Hilfe nicht erreichbar, so darf und muss er, aufgrund eigener Befunderhebung und Entscheidung, die Notfallmedikamente geben, die zur unmittelbaren Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Notfallpatienten dringend erforderlich sind.“

(Die Empfehlung der BÄK gibt’s hier: PDF – 23 KB)

Schaut man sich die in dieser Empfehlung genannten Medikamente an, so wird man unter dem Stichwort „Krampfanfall“ als empfohlenes Notfallmedikament ein „Bezodiazepin als Rectiole“ finden.

Da es sich bei dem Medikament Dormicum®/Midazolam® um ein Benzodiazepin handelt, haben die beiden Rettungsassistenten also auch aus Sicht der Bundesärztekammer richtig gehandelt. Der betroffene Rettungsassistent hatte das Medikament jedoch nicht, wie empfohlen, rektal (über die Darmschleimhaut), sondern nasal (über die Nasenschleimhaut) verabreicht.

– Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt die Gabe von Benzodiazepinen in der Initialphase bereits durch Laien. In den aktuell gültigen Leitlinien ist zu lesen:

„Für die Initialtherapie (Stufe 1) aller Statusformen wird weiterhin die Gabe eines Benzodiazepins, präferenziell Lorazepam i.v. empfohlen. Wenn eine i.v. Gabe, z. B. durch Laien, nicht möglich ist, wird die Gabe von Midazolam (oder Lorazepam) intranasal oder bukkal, alternativ Diazepam rektal empfohlen.“

Die beiden haben also auch nach Ansicht der DGN völlig richtig gehandelt, da die Gabe von Midazolam intranasal selbst durch Laien empfohlen wird.

 


Rausschmiss für Lebensretter 25.11.2013 (BR/Abendschau)

 

Fazit

Während in vielen anderen Bereichen das Handeln die beiden Rettungsassistenten für ihre kompetente Hilfe gelobt worden wären, scheint man im Bereich Bad Neustadt an der Aisch etwas anders an die Sache heranzugehen.

Auch wir sind der Meinung, dass das Handeln der beiden Rettungsassistenten im beschriebenen Fall absolut verständlich und korrekt war. Es muss jedoch an dieser Stelle auch klar gesagt werden, dass nicht alle Details und Hintergründe zu den beschriebenen Fällen bekannt sind. Es bleibt also abzuwarten, wie das Gericht in diesem Fall entscheidet.

Natürlich erfahrt ihr den Ausgang der Gerichtsverhandlung hier bei uns im Blog.

 

Rettungssanitäter wegen Gabe von Midazolam gekündigt

Die Seite mit dem Video öffnet sich in einem neuen Tab!

Kompetenz überschritten: Sanitäter retten Leben und werden gefeuert (RTL/Aktuell)
 

 

Besserung in Sicht – Am 01.01.2014 kommt das Notfallsanitätergesetz

Das veraltete und nicht mehr zeitgemäße Rettungsassistentengesetz wird zum 1. Januar 2014 vom neuen Notfallsanitätergesetz (NotSanG) abgelöst. Das neue Gesetz verspricht Besserung, da es die Kompetenzen der künftigen Notfallsanitäter ausweitet und klarer definiert.

Nähere Informationen zum neuen Notfallsanitätergesetz, sowie der zugehörigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung gibt’s hier:

 

Rettungsassistenten wegen Überschreitung der Notkompetenz entlassen

Die Seite mit dem Video öffnet in einem neuen Tab!

Lebensretter oder Regelbrecher? BRK feuert 2 Rettungsassistenten (Sat1/Bayern)
 

Eure Meinung zu den Vorfällen?

Natürlich freuen wir uns, wie immer, auf euer Feedback. Wir würden uns freuen, wenn ihr die Kommentarfunktion nutzen und uns an euerer Meinung zur Thematik teilhaben lassen würdet. 😉


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