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Die Anzahl der Übergriffe auf Rettungskräfte hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Hemmschwelle scheint – im Vergleich zu früher – stark gesunken zu sein. Immer öfter werden die Retter zu alkoholisierten, oder unter dem Einfluss anderer Drogen stehenden Patienten gerufen. Bei einer Umfrage unter Rettungsfachpersonal gab jeder zweite an, dass er oder sein Teampartner schon einmal Opfer körperlicher Gewalt wurden. Nur knapp über 8 % der Befragten gaben an, noch nie angegriffen oder bedroht wurden.

So wurde beispielsweise in Augsburg die Besatzung eines Rettungswagens geschlagen, weil sie aufgrund der falschen Adressangabe des Anrufers verspätet eintraf. In Ulm wurden zwei Besatzungsmitglieder eines RTW während des Einsatzes mit gezielten Kopfstößen in das Gesicht „niedergemacht“. Aus Buchholz kommt die Meldung, dass eine Einsatzfahrzeugbesatzung von einem Betrunkenen angegriffen und verletzt wurde. Auch in Kleve erlitten Einsatzkräfte bei einem Angriff Prellungen und Quetschungen. In Langhorn bedrohte ein psychisch Kranker die Besatzung mit einem Messer, so dass sich diese nur mit der Flucht aus dem eigenen Fahrzeug retten konnte. Alkoholisierte und aggressive Jugendliche bedrohten Kollegen der Rettungswache Bruchsal. Pöbelnd und beleidigend in ihrem Verhalten, betraten sie das Gelände des Rettungsdienstes. Vor der Festnahme durch die Polizei beschädigten sie noch Glastüren. Auf der Autobahn 8 wurde eine Rettungswagenbesatzung im eigenen Fahrzeug verprügelt. In Göppingen wurde Rettungsfachpersonal nach einer Schlägerei an der Patientenversorgung gehindert. Massive Polizeipräsenz war erforderlich. Bekannt sind Angriffe auf Feuerwehreinsatzkräfte anlässlich des G8-Gipfels in Rostock. Weitere Meldungen kommen aus Hamburg, Berlin und Dietzenbach in Hessen. Heftig waren auch die Übergriffe auf Einsatzkräfte beim Wohnhausbrand in Ludwigshafen. Ein vergleichbares Geschehen ereignete sich bei einem Wohnungsbrand in Soltau. In Offenbach, rücken Fahrzeuge der Rettungsdienste, zu Einsätzen in manche Wohngegenden nur noch in Begleitung der Polizei aus. (Offenbach Post)

Die Liste der bereits dokumentierten Angriffe auf Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst ist lang. Zudem muss man von einer erheblichen Zahl nicht dokumentierter Fälle ausgehen.

Mittlerweile wurde vom Bundesrat ein neues Gesetz verabschiedet, das Mitarbeiter von Rettungsdiensten, die im Einsatz tätlich angegriffen werden mit Polizisten gleichstellt und eine Erhöhung der Strafankündigung für Widerstandshandlungen von zwei auf drei Jahre Freiheitsstrafe mit sich bringt.

 

 

Fakt ist: Gewalt gegen Einsatzkräfte gehört mittlerweile zum Einsatzalltag. Die Frage, wie man auf Drohungen und Gewaltanwendungen im Einsatz sinnvoll reagieren soll, wird inzwischen bereichsübergreifend diskutiert und beschäftigt die Einsatzkräfte und das Führungspersonal aller Organisationen nachhaltig.

 

Deeskalations- und Selbstverteidigungskurse

Ein Lösungsansatz ist die Schulung des Personals in Selbstschutzmaßnahmen. Hier können Möglichkeiten erlernt werden, die zur Entspannung heikler Situationen beitragen können. Es werden die richtige Beurteilung der Situation, sowie Techniken und Methoden zur gezielten Abwehr und Bewältigung von Konfliktsituationen geschult. Das richtige Verhalten am Einsatzort, sowie sogenanntes „Talking Down“ sollen helfen die Erfüllung des dienstlichen Auftrages unter optimalen Fremd- und Eigenschutzmaßnahmen zu ermöglichen.

Grundlegender Inhalt der Ausbildung ist ein Einblick in rechtliche Grundlagen (§§ 32 StGB – Notwehr, 33 StGB – Notwehrüberschreitung, § StGB – Rechtfertigender Notstand). Die Maßnahmen zur Notwehr und die Verhältnismäßigkeit der Mittel, werden mit praktischen Beispielen demonstriert. Realitätsnahe Fallbeispiele verdeutlichen das Gefahrenpotenzial an den Einsatzstellen. Besprochen wird der Umgang mit Gewalt und Aggressionen im rettungsdienstlichen Einsatz.

Bei der praktischen Ausbildung kommen keine schwer zu erlernenden Kampfsporttechniken zur Anwendung. Gelehrt werden einfache Abwehr- und Befreiungstechniken. Ziel  der Unterweisung ist es, dem Rettungsfachpersonal, Notärzten und den Kräften der Feuerwehren, angemessene Verhaltensweisen im Umgang mit „auffälligen“ Patienten oder „Umfeld“ zu vermitteln. Bei eventuellen Angriffen sollen einfache, aber effektive Techniken, zumindest Schutz- und Fluchtmöglichkeiten gewährleisten. Die Einbeziehung in ein „anhaltendes Kampfgeschehen“ ist nicht vorgesehen.

Man muss jedoch unbedingt beachten, dass solche Seminare eher als „Arbeitshilfe“ zu sehen sind. Kampfkunst ist ein Lebensweg und kann nicht in einem Semester oder in wenigen Stunden erlernt werden. Kampfkunst ist auch nicht dafür gedacht gegen jeden Angreifer gewappnet zu sein, sondern insbesondere auch dafür, um seine Persönlichkeit so weit zu entwickeln, dass man in der Lage ist, eventuellen Angreifern aus dem Weg zu gehen.

Auch Feuerwehr-Einsatzkräfte, Rettungsdienstpersonal und Notärzte, sollten bei erkennbarem Konfliktpotenzial unverzüglich den „geordneten“ Rückzug antreten. Zuständig für Gewalttäter ist die Polizei. Diese verfügt über entsprechende Rechte, Kenntnisse und Ausstattung zur Bewältigung diverser Ausnahmelagen. Die im Selbstschutz – Seminar erlernten Techniken, können und sollen insbesondere im Falle eines nicht vorhersehbaren Angriffes, entsprechende Schutz- und Fluchtmöglichkeiten bieten – nicht mehr. An dieser Stelle sei jedoch vor Selbstüberschätzung gewarnt. Auf „Rettungsdienst-Rambos“ können wir in Deutschland gerne verzichten!

(Quelle: Alfred Brandner – Notwehr im Einsatz)

 

Kameraüberwachung

Die Feuerwehr in Bremerhaven hat zwei neue Rettungswägen mit 360°-Kameras ausgestattet. Diese sollen eine abschreckende Wirkung haben und die – im Falle eines Zwischenfalles folgenden – Ermittlungsarbeiten erleichtern. Aussen am Fahrzeug weisen Piktogramme auf die Kameraüberwachung des RTW hin.

Zusätzlich dazu wurden spezielle Handfunkgeräte mit Notruffunktion beschafft mit denen es im Notfall möglich ist – auch ausserhalb des Fahrzeuges – sofort Hilfe zu holen.

 

Stichschutzwesten und Pfefferspray

In Nürnberg setzt das BRK auf Stichschutzwesten für die Mitarbeiter. Möglichst unauffällig in weiß gehalten sollen diese den Rettern mehr Sicherheit im Einsatzalltag bringen.

Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes „Schutz und Rettung“ in Zürich dürfen sich nun auch mit Pfefferspray „bewaffnen“. Es handelt sich hierbei um das gleiche Spray, wie es auch von Polizeibeamten benutzt wird. Zwingend erforderlich ist jedoch die polizeiliche Ausbildung zum sicheren Einsatz des Sprays. Zudem muss jeder Einsatz des Sprays schriftlich dokumentiert werden.

 

 

Was haltet ihr von der beschriebenen Entwicklung und den genannten Maßnahmen? Welche der Möglichkeiten würdet ihr ggf. auch für euch selbst in Betracht ziehen? Wurdet ihr vielleicht auch schon einmal selbst im Einsatz tätlich angegriffen? Wir freuen uns auf eure Kommentare…!

 


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Autor
Gründer, Administrator, Hausmeister und ‚Motor‘ des Blogs. Beiträge von ihm sind in allen Kategorien zu finden. Beruflich ist er als Notfallsanitäter, sowie als Dozent und Einsatzleiter bei einer großen Hilfsorganisation in Süddeutschland tätig. Dank diverser Zusatzqualifikationen und stetigen Fort- und Weiterbildungen, sowie unzähligen Kontakten im In- und Ausland, ist er immer up-to-date und wird von Bekannten und Kollegen häufig als Ansprechpartner für alle möglichen Themen rund um den Rettungsdienst konsultiert. Er ist auf diversen Internetplattformen, sowie Messen und anderen Veranstaltungen zu den Themen Rettungsdienst und Notfallmedizin präsent und dauernd auf der Suche nach neuen und interessanten Themen für den Blog.