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Home Diskussionen Horrorszenario Amoklauf – Wie gut sind wir vorbereitet?

SEK im Einsatz - Quelle: badische-zeitung.de
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Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst beim Amoklauf in Memmingen - Quelle: www.newscentral.deDurch relativ dramatische Entwicklungen in der Sicherheitslage im deutschen Inland mussten neue Konzepte entwickelt werden: Terror- und Amokszenarien in denen bewaffnete Täter alleine oder in Kleingruppen ohne Rücksicht auf das eigene (Über-)Leben in Hotels, Bahnhöfe, Schulen oder andere Einrichtungen eindringen um dort einen möglichst massiven Schaden herbeizuführen sind nicht länger Utopie oder Einzelfälle, sondern vielmehr latent und real! Im Jahr 2009 beispielsweise verzeichnete die deutsche Polizei 161 Amok-Verdachtslagen bundesweit, die dank frühzeitiger und umfassender Intervention entsprechend bewältigt werden konnten.

Diese Ereignisse, im englischen Sprachraum als „Active Shooter“-Szenarios bekannt, haben die Welt – und auch Deutschland – in jüngerer Vergangenheit schon oft getroffen und es gilt, künftig entsprechend darauf vorbereitet zu sein. Alle Amokläufe in Deutschland, wie beispielsweise Erfurt (2002), Emsdetten (2006) und Winnenden (2009), wurden von äußerst entschlossenen Tätern begangen. In Deutschland lässt sich bisher festhalten, dass Amoklagen – auch wenn sie sich grundsätzlich überall zutragen können – meist an Schulen stattfanden, die Täter einen persönlichen Bezug zu diesem Ort hatten und wahllos oder zielgerichtet viele Menschen verletzt und/oder getötet hatten. Nicht immer endeten die Taten mit einem Selbstmord des Täters.

Das Problem

Polizei bei Amokübung in einer Schule - Quelle: www.ndr.de - Foto: dpa / picture allianceFür sämtliche Rettungskräfte stellt ein solches Szenario eine Herausforderung und eine große Gefahr für das eigene Leben dar. Die zu klärende Frage lautet, ob und wie man den Opfern zu Hilfe kommen kann, ohne sich dabei selbst in Lebensgefahr zu bringen.

Bei der Rettung der Verletzten, insbesondere wenn sie durch Waffen verletzt worden sind und stark blutende Wunden aufweisen, ist höchste Eile geboten. Studien aus anderen Ländern und Kriegsgebieten belegen, dass das Zeitfenster bei Amok- und Terrorlagen sehr kurz ist. Arne Jansch, Dozent für die Studiengänge Gefahrenabwehr und Rettungsingenieurwesen an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften berichtet in einem Artikel des NDR zu diesem Thema:

Wir haben immerhin 15 bis 20 Prozent an Personen, die sterben, obwohl sie nicht hätten sterben müssen, wenn man relativ zügig etwas getan hätte. In diesem Bereich spricht man von vermeidbaren Todesursachen. Das sind relativ banale Verletzungen, die man eigentlich auch sehr einfach behandeln kann. Nur: es muss in sehr kurzer Zeit erfolgen!

Keine Versorgung im Gefahrenbereich

Absperrung des Gefahrenbereiches bei einem Amoklauf - Quelle: www.stern.deVerständlicherweise sprechen sich die vier großen Hilfsorganisationen (DRK, JUH, MHD und ASB) ganz klar gegen einen Einsatz des regulären Rettungsdienstes bei nicht sicherer Lage aus. Auch der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst (DBRD) erklärt, es dürfte auf keinen Fall zu einer Versorgung von Verletzten im gefährdeten Bereich kommen.


 

Polizei kann nicht zur Rettung von Opfern herangezogen werden

Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland keine speziell für derartige Lagen notfallmedizinisch ausgebildeten Einheiten. Mancherorts sind zwar Polizeibeamte des SEK und anderer Spezialeinheiten in Rettungsmaßnahmen geschult oder haben sogar eine reguläre, medizinische Assistenzausbildung absolviert, aber in einem solchen Szenario spielt die Versorgung der Opfer für sie eine untergeordnete Rolle: Es gilt den oder die Täter schnellstmöglich handlungsunfähig zu machen und damit Schlimmeres zu verhindern!

Streifenpolizisten bei einem Amoklauf - Quelle: www.tz-online.deWar es früher gängig, dass die ersteintreffenden Streifenpolizisten sich im Hintergrund hielten, observierten und sich ein Bild der Lage machten bis speziell ausgerüstete Einheiten herangeführt werden konnten, so gilt es nun unverzüglich entschlossen vorzurücken und so massiv wie möglich auf den Täter einzuwirken, um diesen zu binden und unschädlich zu machen, bevor er weitere Personen angreifen kann.

Auch in den Sondereinheiten hat diese Aufgabe Priorität, so dass diese Kräfte keine Zeit und Gelegenheit haben Opfer – speziell größere Mengen an Opfern – zu versorgen und zu evakuieren. Bei ihnen kommt zudem oft auch ein langer Anfahrtsweg hinzu.

Wer rettet Opfer und Betroffene aus dem Gefahrenbereich?

Eine Alternative bestünde darin, freiwillige, zivile Rettungskräfte einzusetzen. Diese gilt es jedoch vorab taktisch zu schulen und mit entsprechender Schutzausrüstung auszustatten. Außerdem müssten sie innerhalb kürzester Zeit in den Einsatz gebracht werden können. Weiter könnten diese Einheiten nur unter Absicherung durch bewaffnete Polizeikräfte in einer sogenannten „warmen Zone“ zur Rettung und Versorgung Verletzter in den gefährdeten Bereich vordringen.

In Deutschland ist dieses Vorhaben sehr ehrgeizig und nicht leicht zu realisieren. Zuerst müsste man einen ausreichend großen Stamm an Freiwilligen aufbauen die bereit wären auf diese Art in den Einsatz zu gehen. Als nächstes muss die Frage der Ausbildung geklärt werden, da diese Methodik nicht Lehrinhalt der Rettungsassistentenausbildung oder einer anderen, zivilen Ausbildung im Rettungsdienst ist. Zum Dritten müsste geklärt werden auf welche Art die Rettungskräfte versichert werden und welche Versicherung im Schadensfall greift.

Wie kann möglichst schnell entsprechendes Fachpersonal an die Opfer herangeführt werden?

Kombiniertes Rettungsteam - Quelle: ianmcewan.ifunnyblog.com

Ein Lösungsansatz dürfte sein, nach einer ersten Lageerkundung, ein Team aus Polizeibeamten in Schutzausrüstung und ebenfalls geschützten, jedoch als solche in ihrer Dienstkleidung kenntliche Rettungskräfte zusammen in einer Art Schildkrötenformation vorgehen zu lassen. Diese dringen zu Verletzten vor, führen eine Grundversorgung durch und evakuieren die Opfer zu einer (relativ) sicheren Sammelstelle wo diese durch andere, speziell ausgebildete, Rettungskräfte übernommen und weiter versorgt werden können.

Gegen dieses Modell der sogenannten „kombinierten Rettungsteams“ gab es vor allem in Norddeutschland erheblichen Widerstand seitens der Arbeitsgemeinschaft der Notärzte Norddeutschlands (AGNN) und des Bundesverbandes der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst e.V. im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Rettungsdienst und Polizei“. Eine Beteiligung ärztlicher Kräfte war jedoch nie Bestandteil der Planung. Eine Stellungnahme der Berufsverbände des Rettungsdienstes diesbezüglich blieb weitgehend aus.

Ende 2010 plante die Rettungsdienstschule des RKiSH in Kiel (Schleswig-Holstein) als erste und einzige, das Konzept der Rettungsteams als festen Bestandteil in die Ausbildung mit aufzunehmen. Ein Gemium zu diesem Thema erklärte jedoch im Frühjahr 2012 den Gedanke, Rettungsteams durch den Regelrettungsdienst bereitzustellen, für nicht durchführbar. Die Rettung in einem taktischen Szenario müsse von der Polizei geleistet werden.

In Schleswig-Holstein steht dem jedoch noch etwas entgegen: „Die gesetzlichen Regelungen bei der Rettung Verletzter sind einschlägig. Die Zuständigkeiten sind festgelegt. Die notfallmedizinische Versorgung von Personen ist Notfallrettung im Sinne des Rettungsdienstgesetzes.“

Gute Vorbereitung als Grundlage professionellen Handelns!

In unserer Berufsgruppe herrscht große Unsicherheit auf diesem Gebiet. Der Rettungsdienst hierzulande hat sehr wenig Erfahrung mit Schussverletzungen und auch mit dem taktischen Vorgehen der Polizei bei Amoklagen. Grund dafür ist, dass schlicht zu wenig in diesem Bereich geschult wird. Es ist zwingend erforderlich, dass der deutsche Rettungsdienst – und nicht zuletzt auch die Polizei – durch fundierte Ausbildung auch auf solche Szenarien vorbereitet wird, auch wenn dies bedeutet, dass viel Zeit und Geld investiert werden muss. Des Weiteren muss die Zuständigkeit bundesweit klar geregelt und entsprechende Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden.

Es bleibt zu hoffen, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren etwas verändert. Man kann und darf diese Szenarien nicht einfach ignorieren und die Retter – und damit auch die Opfer und Betroffenen – im Fall der Fälle sich selbst überlassen… Wir brauchen auch in Deutschland klare Strukturen, durchdachte Konzepte und eindeutige Richtlinien, vielleicht sogar speziell geschulte Einheiten und allem voran Aufklärung, Ausbildung und Training! Es muss sichergestellt sein, dass sowohl den Opfern, als auch den Betroffenen bei einer Amok- oder Terrorlage schnellstmöglich kompetent geholfen werden kann und dass auch die Helfer nach dem Ereignis die Chance haben, das erlebte zu verarbeiten und sich zu regenerieren (Vgl. Auch Helfer brauchen Hilfe!).

 

Was sind eure Erfahrungen und Wünsche?

Wurdet ihr in diesem Bereich geschult? Wisst ihr wer für was zuständig ist und wie weit ihr gehen dürft und müsst? Gibt es vielleicht festgelegte Herangehensweisen? Wurdet ihr in die taktischen Vorgehensweisen der Polizei – wenn auch nur ansatzweise – eingeweiht und wisst ihr wie ihr euch verhalten müsst?

Bitte nutzt die Kommentarfunktion und berichtet von euren Erfahrungen und Wünschen…


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