Anzeige
Home Einsatzberichte Der Doktor hat gerade keine Zeit

Beutel-Masken-Beatmung
VN:F [1.9.22_1171]
Bewerten Sie diesen Beitrag:
Rating: 5.0/5 (7 votes cast)

Ziel unserer Reise war ein kleines Krankenhaus im benachbarten Leitstellenbereich, wo wir Herrn Huber mit Atembeschwerden abholen und in eine Lungenfachklinik verlegen sollten. Da das Ganze als normaler Krankentransport angemeldet war, gab es keinen Grund zur Hektik: Mein Kollege steuerte den Rettungswagen durch die malerische Herbstlandschaft, während ich versuchte einen Radiosender zu finden, der nicht um kurz vor 18 Uhr schon Schlafmusik spielte.

Nach etwas mehr als 30 Minuten Anfahrt erreichten wir die Klinik. Ich überlegte noch kurz, ob wir denn unser Material mitnehmen sollten, aber da der Patient ja in einem Krankenhaus lag, wo alles vorhanden war, entschied ich mich nur für die Trage. Angemeldet war ja ohnehin nur ein Krankentransport ohne besondere Ausstattung. Es war nur kein KTW in absehbarer Zeit zur Verfügung gestanden, weshalb wir mit dem RTW losgeschickt wurden…

Als wir aus dem Aufzug stiegen, wurden wir sofort von einem Pfleger in Empfang genommen, der offensichtlich bereits auf uns gewartet hatte. Er teilte uns die Zimmernummer von Herrn Huber mit, drückte mir die Papiere in die Hand und verschwand daraufhin wieder. Nicht so unbedingt das, was ich mir unter einer Übergabe vorstelle, aber okay. Schauen wir uns den guten Herrn Huber halt erst einmal an, dachte ich mir.

Ich klopfte an die Türe und betrat gut gelaunt das Zimmer in der Hoffnung, wir würden einen freundlichen alten Mann vorfinden, mit dem ich ein angeregtes Gespräch während der Fahrt führen konnte. Als ich an das Bett herantrat fielen mir jedoch sofort die tiefblauen Lippen des Patienten auf und in diesem Moment zerplatzte der Traum von der angenehmen Plauderfahrt auch schon wieder.

Herr Huber atmete zwar, wenn auch sehr inadäquat, aber mittels Esmarch-Handgriff konnte die Situation auf die Schnelle schon einmal entschärft werden. Während ich nun also mit beiden Händen am Kopf des Patienten gebunden war, betätigte Peter – mein Kollege an diesem Tag – den Schwesternruf und kramte nach längerer Suche eine Sauerstoffmaske aus einer der Schubladen im Zimmer.

Als diese angelegt war, betrat auch der Pfleger von vorhin das Zimmer und fragte uns was denn los sei. Ich erklärte ihm, wie wir Herrn Huber vorgefunden hatten und bat ihn, doch einmal den diensthabenden Arzt zu holen. Er schaute kurz etwas verwirrt im Zimmer umher, dann verschwand er mit den Worten „Okay, ich schau mal…“.

Der Puls des Patienten, den ich ertasten konnte, war auch nicht so unbedingt der beste und die Esmarch-Variante schien auch nur bedingt zu funktionieren, denn es waren deutliche Rasselgeräusche zu hören.

Ich bat Peter im Gang nach einem Wagen zu suchen, der ein Stethoskop, einen Guedel-Tubus, einen Beatmungsbeutel, oder irgend etwas anderes, was für uns von Interesse sein könnte beinhaltet. Er nickte und wollte gerade das Zimmer verlassen, als unser Freund Krankenpfleger wieder in’s Zimmer geschlappt kam und uns verkündete: „Der Doktor hat gerade keine Zeit! Sie sollen den Patienten bitte einfach verlegen, die in der Lungenklinik wissen Bescheid.“

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich verhört hatte, also fragte ich lieber noch einmal nach: „Bitte was? Der Doktor hat gerade KEINE ZEIT???“  –  „Ja, er ist gerade in einer wichtigen Besprechung!“.

„Wichtige Besprechung hin oder her… Hier liegt ein Patient blitzeblau im Bett und atmet kaum noch!“ fuhr ich den jungen Mann, der immernoch etwas gelangweilt im Zimmer stand, mit zorniger Stimme an.

Herr Huber war immer noch nicht ansprechbar. Zwar hatte sich die Zyanose durch den Sauerstoff etwas verbessert, aber das rasselnde Atemgeräusch war nach wie vor deutlich zu hören und auch der Puls war weiterhin schwach tastbar und deutlich erhöht.

„Jetzt bringen sie erst einmal einen Notfallwagen her, damit wir hier ein bisschen Material haben und dann holen sie ihren Doktor aus der Besprechung!“ schnauzte Peter den Krankenpfleger an, worauf dieser wohl auch endlich begriffen hatte, dass wir es ernst meinen und der Patientenzustand mehr als bedenklich war.

„Der Defi-Wagen steht hier gleich im Nebenzimmer!“ sagte er und so beschloss Peter, den Wagen selbst zu holen, während wir erneut alle Hoffnung in die Pflegekraft setzten, dass endlich ein Arzt kommen würde. Peter kam mit dem Wagen herein, reichte mir direkt einen passenden Guedeltubus, den Herr Huber auch ohne Probleme tolerierte, dann versuchte mein Kollege den Patienten abzusaugen, während ich den bereits liegenden IV-Zugang, der mittels Mandrin abgestöpselt gewesen war, wieder mit einer Infusion versah.

„Der Doktor sagt, er kommt jetzt nicht! Sie sollen den Patienten jetzt einfach einladen…“ hörte ich unseren speziellen Freund sagen, als er gerade wieder zur Tür herein kam.

„Jetzt platzt mir hier aber gleich der Arsch…“ begann Peter ihn anzubrüllen, „Dann machen sie wenigstens mal ein EKG an den guten Mann und messen den Blutdruck, ich hole so lange einen Notarzt von uns dazu!“

Brav gehorchte der Pfleger, holte den Monitor und bekann den Patienten zu verkabeln. Der Blutdruck war bei 90 mmHg, der Puls bei schwach tastbaren 130 Schlägen pro Minute. Der Sättigungsclip am Ohr zeigte einen Wert von 85 %, so dass ich mich entschloss, den Patienten nun assistiert zu beatmen, denn auch sein Bewusstseinszustand machte mir Sorgen.

Das ganze Szenario zog sich eine Weile, bis endlich unser Notarzt eintraf. Zwar hatte der Pfleger mittlerweile den Ernst der Lage begriffen und half ordentlich mit, aber es war weder eine weitere Pflegekraft, noch ein Arzt zur Unterstützung zu uns gekommen.

Nachdem die Übergabe an den Notarzt erfolgt und erste Medikamente verabreicht waren, beschloss unser Notarzt – den wir von einigen gemeinsamen Einsätzen her kannten, obwohl er im anderen Leitstellenbereich fährt – den Patienten nun einmal transportfertig zu machen. Er hatte die Papiere von mir erhalten und kurz durchgesehen. Leider war in dem Umschlag, neben einem Transportschein, nur ein handgeschriebener vorläufiger Arztbericht, der wenig aussagekräftig war und so waren wir kaum schlauer als zuvor.

„Jetzt geh’n wir mal unter assistierter Beatmung zu euch in’s Auto, bis jetzt sieht’s ja ganz stabil aus, was der Herr Huber hier bietet. Unten schau’n wir dann nochmal… Wenn’s dumm läuft müssen wir ihn eben doch noch intubieren!“ sagte unser Druide, während wir den Patienten auf unserer Trage lagerten.

Als ob das ganze Schlamassel bis hierher nicht ohnehin schon groß genug gewesen wäre, stand plötzlich eine junge Dame mit einem Blumenstrauß mitten im Zimmer. „Was machen Sie denn da??“ fragte sie und blickte uns völlig verdutzt an.

„Sind Sie Angehörige?“ fragte unser Doc, was die Dame mit einem „Die Tochter!“ bejahte.

„Ich hätte sie gleich noch angerufen…“ begann der freundliche Krankenpfleger dazwischenzufunken, „Ihr Vater wird in die Lungenfachklinik verlegt!“

‚Na super!‘ dachte ich mir… ‚Was für ein Laden ist denn das hier bitte? Das Wort Übergabe hat hier wohl noch keiner gehört, der Pfleger ist eine Pfeife vor dem Herrn, den werten Herrn Stationsarzt interessiert es nicht, wenn seine Patienten am verrecken sind und dann werden die Angehörigen nicht einmal über das Vorgehen aufgeklärt!‘

Wir beschlossen, den Patienten nun umgehend in den RTW zu verbringen, der Fahrer des NEF blieb noch kurz bei dem Pfleger und der Angehörigen um für vernünftige Aufklärung zu sorgen.

Im Fahrzeug wurden dann schließlich noch weitere Medikamente verabreicht und der Patient an unser Bord-EKG angeschlossen. Da sich der Zustand des Patienten trotz allem weiter verschlechterte, wurde nun doch noch eine Intubation durchgeführt, dann die Zielklinik geändert…

 

Fazit dieses „Krankentransportes“: Keine beschauliche Plauderfahrt, ein weiteres Krankenhaus auf meiner „Da möchte ich nie nie nie hin“-Liste, eine völlig aufgelöste und heulende Tochter und die Gewissheit, dass beim nächsten Besuch in dieser „Spezialklinik“ auf jeden Fall das komplette Notfallequipment mitgenommen wird.

Übrigens versprach uns der Notarzt, dass er sich diesbezüglich noch einmal mit der Klinikleitung in Verbindung setzen würde und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergreift…

 


Der Doktor hat gerade keine Zeit, 5.0 out of 5 based on 7 ratings

Flattr this!