Es ist doch noch zu früh…
„Begonnen hatte alles mit Kopfschmerzen und Schwindel. Später kamen leichte Sensibilitätsstörungen hinzu. Als dann eine Lähmung der linken Körperhälfte einsetzte und er seinen Kopf nur noch nach links gebeugt halten konnte, entschieden wir uns, den Rettungsdienst zu alarmieren. Während wir telefonierten, berichtete er, dass er Schmerzen im Nacken habe und den Kopf nun fast gar nicht mehr bewegen könne…“ erfuhr ich von der Dame, die uns auf der Straße empfangen hatte, als wir die Treppe zum Schlafzimmer des Patienten hinaufstiegen.
Während wir uns das nun alles anhörten, ließ sich schon relativ gut eingrenzen, mit welcher Art von Erkrankung wir es zu tun hatten. Ich ging in erster Linie von einer Hirnblutung oder einer Hirnhautentzündung aus, alternativ kam auch eine Intoxikation in Frage. Es gab nur eine Sache, die mich stutzig machte und meine Gedanken etwas durcheinander warf: Paul, unser Patient, war erst sieben Jahre alt!
Oben angekommen konnten wir hören, wie der Vater des kleinen Patienten im Zimmer zu schreien begann. Der Grund dafür wurde uns klar, als wir das Zimmer betraten: Ein generalisierter Krampfanfall. Der Junge lag nun also tonisch-klonisch krampfend in seinem Bett und verständlicherweise waren beide Elternteile vollkommen schockiert.
Wir begannen unsere Versorgung, durchbrachen zuerst den Krampf. Während wir nun alle Vitalwerte erfassten, ein EKG klebten und einen venösen Zugang legten, wurde bei den Eltern der genaue Verlauf noch einmal hinterfragt. Die Anamnese ergab, dass der Patient keine Vorerkrankungen hatte, keine Dauermedikation einnahm und es prinzipiell in letzter Zeit nichts sonderlich auffälliges gegeben hatte. Nur habe er immer wieder über Kopfschmerzen und Schwindel geklagt.
Wenige Augenblicke später erfolgte die Übergabe an den, mittlerweile eingetroffenen, Notarzt. Auch dieser untersuchte den Patienten nun ausführlichst, bevor wir ihn in den Rettungswagen brachten. Ein kurzes Telefonat mit dem diensthabenden Neurologen des nahegelegenen Maximalversorgers, dann starteten wir zügig den Transport.
In der Klinik ordnete der Neurologe ein Schädel-CT an, dessen Ergebnis wir leider, aufgrund eines Folgeeinsatzes, nicht mehr abwarten konnten.
Zwei Tage später
Ich versah wieder mit dem selben Kollegen Dienst auf dem Rettungswagen.
Am Nachmittag alarmierte uns die Leitstelle zur Verlegung. Wir sollten den kleinen Paul von der Neurochirurgie in eine andere Klinik bringen. Auf der Anfahrt unterhielt ich mich mit meinem Kollegen noch einmal über den Einsatz und wir waren beide sehr gespannt, was die Untersuchungen nun ergeben hatten…
Leider war die Übergabe der diensthabenden Ärztin nicht sonderlich erfreulich: Man hatte in Paul’s Kopf einen riesigen Tumor entdeckt. Dieser war bösartig und inoperabel.
„Scheisse!“ dachte ich mir. Das war nun eigentlich so ganz und gar nicht das, was ich hören wollte.
Paul lag in seinem Bett, hatte mehrere Kuscheltiere im Arm. Sein Kopf war immer noch zur Seite geneigt und sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Neben ihm saßen die Eltern mit tränenunterlaufenen Augen. Keine schöne Situation!
Von der Situation ergriffen und äusserst betrübt übernahmen wir den Patienten. Ich versuchte, ein Wenig mit Paul zu reden, ihm womöglich seine Angst ein Stück weit zu nehmen und die Fahrt so angenehm wie möglich zu gestalten. Paul hatte aber offensichtlich wenig Lust mit jemandem zu reden, er beantwortete Fragen nur sehr knapp, schwieg ansonsten und hatte meist die Augen geschlossen.
Während der Fahrt wurde relativ wenig gesprochen. Ich erfuhr von der völlig aufgelösten Mutter, dass ihr erstes Kind bereits im Mutterleib verstorben war. Sie und ihr Mann hatten sehr lange gebraucht um darüber hinweg zu kommen, doch dann kam irgendwann Paul und es ging bergauf… bis gestern! Die Prognose, die sie von den Ärzten erhalten hatte, war nicht besonders gut. Ich sah davon ab, genauer nachzufragen…
Die Zeit bis zum Eintreffen an der Zielklinik kam mir vor wie eine Ewigkeit. Die Situation war schrecklich, minutenlanges Schweigen. Da Paul wie in Trance war und offensichtlich nichts hören oder sehen wollte, war es nicht möglich, ihn ein wenig aufzumuntern. Zwischendurch gelang es, ihm ein kurzes Lächeln in’s Gesicht zu zaubern, zum Beispiel wenn man ihn mit einem der Kuscheltiere leicht anstupste, dennoch lag er die ganze Zeit über regungslos auf der Trage, blickte in’s Leere und sagte nichts…
Irgendwie kommt da nichts auf, wenn deinen Artikel so lese…Da fehlen meiner Meinung nach wirkliche Emotionen.
Hey Paul 😉 Passender Name zu diesem Post!
Danke für den Kommentar, ich hab ehrlich gesagt schon auf so etwas gewartet. Ich habe extra versucht nicht zu viele Emotionen mit reinzupacken, da der Artikel sonst wohl unerträglich geworden wäre. Ich neige dazu, dann immer sehr in’s Detail zu gehen… Der Artikel ist also absichtlich etwas knapp und teils oberflächlich gehalten, aber dass er „gar nichts“ aufkommen lässt war so nicht beabsichtigt. Wie ich damit umgehe soll in diesem Moment gar nicht so sehr im Vordergrund stehen, vielmehr sollen sich die Leser selbst überlegen, wie sie mit einer solchen Situation umgehen würden. Der Primäreinsatz an sich ist ja nicht wirklich sonderlich aussergewöhnlich, so etwas gibt es des Öfteren mal… aber wie das Leben für den Patienten weitergeht, wie schwerwiegend die Folgen sein können, das bekommen wir meist leider nicht wirklich mit! Ich denke jeder kann sich vorstellen, wie ergreifend die Situation ist, das dann taufrisch und live mitzuerleben.
Es gibt Situationen, in denen jedes Wort eines zuviel sein kann. Ein Junge und seine Eltern erfahren, dass er einen bösartigen, inoperablen Tumor im Kopf hat und bald sterben muss.
Da kann man nichts sagen. Man kann nicht sagen, dass alles gut wird und so.
Leider wurden solche Themen bei uns an der Schule nur kurz angerissen. Leider.
ich verstehe nicht , warum dazu kritik geäußert wird?? DIe beschreibung weckt genügend emotionen, man kann sich doch vorstellen wie das ist wenn aus einem gesunden kind auf einmal ein tod krankes Kind wird.
Allerin der Gedanke macht schon traurig
Gruß Mike